Ländlicher Raum

Klimafreundlich heizen

27 Millionen Menschen in Deutschland wohnen in ländlichen Räumen. Deren Struktur unterscheidet sich stark von Städten und Ballungsgebieten: Die Siedlungsdichte ist gering, der Anteil der Ein- und Mehrfamilienhäuser hoch. Viele der Wohngebäude sind unsaniert oder lediglich teilsaniert.

Aufgrund größerer Entfernungen zwischen den Häusern dominieren in ländlichen Raumen dezentrale Heiztechnologien. Der Anschluss an Wärmenetze ist in vielen Fällen unwirtschaftlich. Rund 4,6 Millionen Ein- und Mehrfamilienhäuser heizen noch mit alten Ölheizkesseln. Für einen Wechsel zu elektrischen Wärmepumpen eignen sich viele Gebäude aufgrund ihres baulichen Zustands nicht.

Wie gelingt unter diesen Voraussetzungen die Umstellung der bestehenden Ölheizungen auf klimafreundliche Energieträger? Und mit welchen Heiztechnologien können Menschen in ländlichen Räumen das Ziel der Bundesregierung erreichen, neu eingebaute Heizungen ab 2024 zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien zu betreiben?

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Prof. Oschatz über ökologisch und ökonomisch vorteilhafte Heizalternativen für Bestandsgebäude.

Weg zum 65-Prozent-Erneuerbare-Energien-Ziel?
Nur unter Nutzung aller Technologien erreichbar

Aktuelle ITG-Studie

Flüssiggas (LPG) im Wärmemarkt des ländlichen Raumes

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Der ländliche Raum braucht spezifische Lösungsansätze bei der Wärmeversorgung. Das zeigt die aktuelle Studie „Flüssiggas (LPG) im Wärmemarkt des ländlichen Raumes – Beitrag zu Versorgungssicherheit und Klimaschutz“ von Prof. Dr.-Ing. Bert Oschatz, Geschäftsführer des Institutes für technische Gebäudeausrüstung (ITG).

Rund 830.000 Gebäude mit alten Ölheizungen können das 65-Prozent-Erneuerbare-Energien-Ziel bis 2035 kaum anders als durch einen Umstieg auf Flüssiggas-Heizungen erreichen – mit anteilig regenerativem Flüssiggas oder dem Einbau von Flüssiggas-Hybridheizungen. Flüssiggas-Hybridheizungen kombinieren eine Wärmepumpe mit einer Gasbrennwertheizung. Der energetische Deckungsanteil der Brennwerttherme beträgt rund 35 Prozent, während die Wärmepumpe 65 Prozent der Wärme bereitstellt.

Zentrale Studienergebnisse

830.000 Gebäude mit alten Ölheizungen können das 65 %-Erneuerbare-Energien- Ziel bis 2035 kaum anders als durch einen Umstieg auf Flüssiggas-Hybridheizungen oder Flüssiggas-Heizungen mit regener- ativem Flüssiggas (LPG) erreichen.

Umstellung dieser 830.000 Gebäude auf Flüssiggasheizungen mit anteilig regenerativem Flüssiggas (LPG) kann bis zu 3,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr gegenüber dem Ausgangszustand einsparen.

Der Einsatz von regenerativem Flüssiggas (LPG) hat gebäudebezogen einen vergleichbaren Klimaschutzeffekt wie eine vollständige Modernisierung der Gebäudehülle und ist deutlich günstiger als eine Komplettsanierung.

Geht Klimaschutz auch ohne eine Komplettmodernisierung der Gebäudehülle?

Häufig soll die Modernisierung der Gebäudehülle dazu beitragen, den baulichen Wärmeschutz zu  verbessern. Diese Maßnahme gilt als effektive Klimaschutzmaßnahme. Allerdings sind dafür in der Praxis die erforderlichen Handwerkskapazitäten und das benötigte Eigenkapital nur begrenzt verfügbar.

Eine pragmatische Lösung für Bestandsgebäude im ländlichen Raum ist der Umstieg auf eine moderne und effiziente Flüssiggasheizung, die anteilig mit regenerativem Flüssiggas betrieben wird. Regenerativ erzeugtes Flüssiggas (LPG) stellt eine bisher zu wenig beachtete Option zur Verringerung der Treibhausgasemissionen dar. Dabei ist sie gerade im ländlichen Raum attraktiv für Gebäude, bei denen technische oder wirtschaftliche Einschränkungen die Nutzung der sonst diskutierten Lösungen zur CO2-Einsparung verhindern. Durch den Betrieb von Flüssiggasheizungen mit regenerativen Brennstoffanteilen lassen sich unmittelbar rund 50 Prozent der Treibhausgasemissionen einsparen.

Regeneratives Flüssiggas hat gebäudebezogen somit einen vergleichbaren Klimaschutzeffekt wie eine vollständige Modernisierung der Gebäudehülle – allerdings mit einem deutlich geringeren technischen und finanziellen Aufwand.

Insgesamt könnte die Umstellung dieser rund 830.000 Gebäude auf Flüssiggasheizungen mit anteilig regenerativem Flüssiggas bis zu 3,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent einsparen  – verglichen mit dem Ausgangszustand mit klimaschädlicherem Heizöl als Energieträger.

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Prof. Oschatz über pragmatische Heizungslösungen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen bei Bestandsgebäuden.

Wie effektiv sind Maßnahmen zur CO2-Einsparung in Gebäuden?

So viel Treibhausgasemissionen sparen diese Maßnahmen ein:

Dämmung Kellerdecke und Dach
9—14 % Einsparung

Dämmung Außenwand
16—27 % Einsparung

Fenstertausch
5—15 % Einsparung
 

Komplettsanierung
ca. 50 % Einsparung

Tausch Öl-Altkessel gegen Gas-Brennwerttherme mit regenerativem Flüssiggas, solare Trinkwassererwärmung und Heizungsunterstützung
42—47 % Einsparung

65-Prozent-Erneuerbare-Energien-Ziel: Investitionskosten für die Heizungsmodernisierung

Im Vergleich zum Einbau einer Wärmepumpenheizung sind die Investitionskosten für eine Flüssiggasheizung geringer. In einem freistehenden Einfamilienhaus im Bestand kostet der Einbau einer modernen Gasbrennwerttherme rund 11.600 Euro. Die Wärmepumpe liegt nach Abzug der Förderung bei deutlich über 21.000 Euro. Auch weniger finanzstarke Gebäudeeigentümer können sich somit die Umstellung auf Flüssiggas leisten.

Auch die Gesamtkosten – also Einbau plus Betrieb – von Flüssiggasheizungen mit 65 Prozent erneuerbaren Anteilen rechnen sich. Die Gas-Brennwertvarianten mit und ohne Solarthermie liegen auf etwa gleichem Niveau.

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Was kostet eine Heizungsmodernisierung? Prof. Oschatz hat errechnet, wie hoch die Investitionskosten bei einer Wärmepumpenlösung im Vergleich zu einer Flüssiggas-Heizung sind.

Interview mit dem DVFG-Vorstandsvorsitzenden Jobst-Dietrich Diercks

"Für die Wärmewende auf dem Land braucht es wirksame und passgenaue Maßnahmen."

JOBST-DIETRICH DIERCKS
DVFG-Vorstandsvorsitzender

Flüssiggas-Hybridheizungen können ein entscheidender Baustein sein für eine gelungene Wärmewende im ländlichen Raum. Aktuell gibt es für den Einbau jedoch keine Förderung. Warum dies schnell korrigiert werden muss und welche Rolle regeneratives Flüssiggas bei der Erreichung der Klimaschutzziele spielt, erklärt Jobst-Dietrich Diercks, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Verbandes Flüssiggas (DVFG).

Warum hat der Deutsche Verband Flüssiggas eine Studie zur Wärmeversorgung beaufragt, die speziell den ländlichen Raum in den Blick nimmt?

Diercks: Die geplanten Maßnahmen der deutschen Energie- und Klimapolitik zur Erreichung der bis 2045 angestrebten Klimaneutralität für den Gebäudesektor fokussieren sehr stark auf Wärmenetze und elektrische Versorgungssysteme. Die Besonderheiten des ländlichen Raumes spielen bei den Überlegungen bisher nur eine untergeordnete Rolle. Obwohl nach Angaben des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung 68 Prozent der Fläche Deutschlands ländliche Räume sind, in denen 32 Prozent der Bevölkerung leben. Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag, um für die Menschen vor Ort wirksame und passgenaue Maßnahmen hin zu klimafreundlichen Energieträgern entwickeln zu können.

Laut der Studie kommt regenerativem Flüssiggas eine entscheidende Rolle zu, um veraltete Heizungsanlagen im Sinne des 65 Prozent Erneuerbare Energien Ziels zu modernisieren. Steht dafür überhaupt genügend regeneratives Flüssiggas für den Wärmemarkt zur Verfügung?

Diercks: In vielen europäischen Ländern gibt es bereits Produktionsanlagen für regeneratives Flüssiggas. Die Produktionskapazitäten von biogenem Flüssiggas steigen aktuell in Frankreich, Italien und Spanien. Viele weitere Projekte sind auf dem Weg: In England entsteht die erste Anlage zur Produktion von erneuerbarem Dimethylether (DME) – dem Flüssiggas sehr ähnliches Produkt. Vier weitere Produktionsstätten sind in Europa geplant. Die Verfügbarkeit von regenerativen Flüssiggasen im Wärmemarkt für Wohngebäude wird nach Prognosen von Liquid Gas Europe von 18.400 Tonnen in 2020 auf mehr als 152.000 Tonnen in Deutschland im Jahr 2030 steigen. Je nach eingesetzter Anlagentechnik könnten damit bereits bis ins Jahr 2030 rund 143.000 bis zu 365.000 neue Flüssiggasheizungen installiert werden, welche die künftigen gesetzlichen Vorgaben zur Nutzung von 65 Prozent erneuerbaren Energien erfüllen.

Welche aktuellen Entwicklungen gibt es in Deutschland, um diese Zukunftstechnologie voranzutreiben?

Diercks: Der DVFG steht in Kontakt mit Forschungseinrichtungen und Unternehmen, um möglichst bald auch in Deutschland eine Produktion von erneuerbarem DME oder biogenem Flüssiggas anzustoßen. Denn der Bedarf ist groß: Kurz- und mittelfristig können Flüssiggasheizungen mit regenerativen  Brennstoffanteilen einen signifikanten Beitrag zur Erreichung der ambitionierten Klimaschutzziele im Gebäudebereich leisten. Politische Voraussetzung dafür ist, dass auch vermeintliche Nischenlösungen wie  Flüssiggasheizungen bei künftigen gesetzlichen Vorgaben besser berücksichtigt werden. Nur dann  gelingt es, regeneratives Flüssiggas als Motor der Wärmewende in möglichst großem Umfang zu nutzen.

Welche Rolle spielen Flüssiggas-Hybridheizungen als Heizalternative für die vielen unsanierten oder nur teilsanierten Bestandsgebäude im ländlichen Raum?

Diercks: Moderne Hybrid-Lösungen sind die ökonomisch vorteilhafte und pragmatische Alternative zur Erreichung der 65 Prozent erneuerbaren Wärmeversorgung. Ihre Vorteile werden viele  Hauseigentümerinnen und -eigentümer überzeugen, von einer alten Ölheizung auf eine Flüssiggas-Hybridheizung zu wechseln – also die Kombination von Wärmepumpe und Gasbrennwerttherme. Aktuell werden diese Kombigeräte jedoch nicht durch die Bundesförderung für effiziente Gebäude gefördert. Das ist umso unverständlicher, da der energetische Deckungsanteil der Brennwerttherme nur rund 35 Prozent beträgt und die Wärmepumpe 65 Prozent der Wärme bereitstellt. Für uns ist daher klar: Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) sollte auch Kombigeräte fördern, damit mehr Haushalte im ländlichen Raum ihren notwendigen und gewünschten Beitrag zur Wärmewende leisten können.

ZUR PERSON
Jobst-Dietrich Diercks ist Vorstandsvorsitzender des DVFG. Mehr als zwei Jahrzehnte lang war er Geschäftsführer von Primagas, einem der führenden Flüssiggas-Versorger in Deutschland. Diercks ist Jurist, hat in Deutschland und der Schweiz Rechtswissenschaften studiert und verfügt über umfangreiche Erfahrungen in verschiedenen Führungspositionen in der Energiewirtschaft.